Fachbeitrag Der Topologiedaten-Bus: Basis für den Aufbau von Smart Grids

11.12.2012

Durch die Integration erneuerbarer Energien in das vorhandene Stromnetz müssen auch IT-Systeme angepasst werden. Ein Topologiedaten-Bus zeigt einen ersten Ansatz, der auf Standards und schlanke Strukturen setzt.

Die Entwicklung der Energiesysteme in Richtung intelligenter Netze - sogenannter Smart Grids - bringt mehr und mehr IT-Lösungen für die operative und strategische Netzplanung sowie die Überwachung und den Betrieb der Stromnetze hervor. Beispielsweise muss für Erweiterungen oder �?nderungen im Netz dessen aktuelle Topologie bekannt sein. Ferner ist die Kenntnis über den gegenwärtigen Schaltzustand der Netze notwendig, um Netzberechnungen durchführen zu können.

Gewachsene Strukturen in der IT

In bestehenden IT-Landschaften der Energiewirtschaft sind die dafür benötigten Daten oftmals über verschiedene IT-Systeme verteilt. So liegen Informationen über den Schaltzustand des Netzes typischerweise in einem Leitsystem, Daten über die geografische Lage von Netzen und Anlagen in einem Geoinformationssystem (GIS) und Stammdaten der Betriebsmittel in einem Asset-Management-System. Folglich ist eine Anfrage zur Bereitstellung von Topologiedaten mit Anfragen an viele verschiedene Systeme verbunden, die jeweils über unterschiedliche Schnittstellen und heterogene Datenformate verfügen. Diese Daten müssen abgefragt und anschließend aufwendig zusammengeführt werden. Dies ist mit hohen Kosten verbunden. Entsprechend verursachen auch �?nderungen an den Quellsystemen weitreichende Nachentwicklungen an diversen Schnittstellen.

Evaluation der IT-Infrastruktur für Smart Grids

Häufig sind Strukturen in der IT über Jahre gewachsen. Neue Systeme werden in die bestehende IT-Landschaft integriert, indem alle benötigten Schnittstellen individuell angepasst werden. Dadurch kommt es im Laufe der Zeit zu einem Dickicht an Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen. Diese Verknüpfungen bilden eine zusehends unüberschaubare Vernetzung der Systeme untereinander. Zwangsläufig bilden sich über die Zeit sogenannte „Informationsinseln“. Innerhalb dieser geschlossenen Inseln funktioniert der Informationsaustausch aufgrund der technischen oder fachlichen Nähe der Systeme. Wenn aber übergreifende technische oder kaufmännische Prozesse den Datenaustausch zwischen diesen Inseln notwendig machen, zeigt sich, dass dies nur schwer oder sogar unmöglich ist. Fachabteilungen müssen dadurch mit enormen Integrationskosten rechnen.

Bei EWE war dies der Anstoß für ein Konzept, das die bestehende Struktur verschlankt, dadurch die Wartungsfreundlichkeit der Schnittstellen verbessert und die Integration zukünftiger Systeme vereinfacht. Ein Projekt zur Analyse im Vorfeld hatte erwartungsgemäß ergeben, dass ein Großteil der IT-Systeme über Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen eingebunden ist. Um diesen Zustand zu verbessern, wurde zunächst mit Hilfe von Enterprise Application Integration (EAI) eine einheitliche Plattform für Prozesse wie zentrale Datenhaltung und zentrales Monitoring geschaffen. Die Komplexität der Integrationsaufgabe wurde somit aus den Schnittstellen zwischen Quell- und Zielsysteme auf eine zentrale Plattform verlagert. Als produktive Plattform wurde ein EAI-System von Microsoft gewählt, der MS BizTalk Server 2010.

Da hierbei zwar die Wartung vereinfacht aber nicht die Komplexität verringert wurde, entschied man sich, einen Schritt weiter zu gehen und als Architekturkonzept einen Enterprise Service Bus (ESB) mit einem einheitlichen Datenmodell zu etablieren. Hiermit soll eine nachhaltige Vereinfachung der IT-Landschaft etabliert werden, indem alle Systeme über eine einheitliche Schnittstelle angebunden werden und den gleichen Kommunikationsstandard nutzen, in diesem Fall das sogenannte Common Information Model (CIM) [2]. CIM als einheitliches Datenmodell bietet sich an, da es durch die IEC normiert sowie international etabliert und auf die Energiewirtschaft zugeschnitten ist (siehe Kasten unten rechts).

Zur Umsetzung dieser strategischen Maßnahme wurde zunächst in einem weiteren Projekt ein Gesamtkonzept entworfen, das die Einbindung aller IT-Systeme beschreibt. Im nächsten Schritt wurde eine Handlungsempfehlung erarbeitet, die Bezug auf eine generelle Einführung der IEC-Standards 61850, 61968 und 61970 nimmt. Die Normenfamilien IEC 61968 und 61970 bilden den Kern des CIM-Modells. Während der technischen Umsetzung sollte zunächst die Machbarkeit anhand von Topologiedaten demonstriert werden, so dass fünf Systeme über den ESB miteinander kommunizieren. Bei den ausgewählten Systemen handelte es sich um Datenbanken und Werkzeuge für die Netzberechnung - also Werkzeuge, aus denen eine Topologie des Stromnetzes erzeugt werden kann. Hieraus ergab sich auch der Name des Projekts: Topologiedaten-ESB.

Technische Vorteile und Aufbau des Systems

Die Abbildung „Informationsaustausch“ oben auf der Seite zeigt den grundsätzlichen Aufbau des Topologiedaten-ESB. Dieser hat sich mittlerweile als produktives System zum zentralen Baustein entwickelt - quasi als Rückgrat für den Smart-Grid-bezogenen Informationsaustausch. Der Topologiedaten-ESB verfügt über folgende Eigenschaften:

Der CIM-Cache speichert ein konsistentes Modell der aktuellen Netztopologie einschließlich der Asset-Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Zur Gewinnung des konsistenten Gesamtbildes der Topologie sind keine �?nderungen an bestehenden Quellsystemen wie zum Beispiel dem GIS oder SCADA-System erforderlich. Werkzeuge zur Netzwerkberechnung und Lastvorhersage sind direkt an den Topologiedaten-ESB angebunden. Die manuelle Übertragung von Topologiedaten durch Sachbearbeiter konnte stark reduziert werden, weil aktuelle Daten aus dem Topologiedaten-ESB angefordert werden können. Dadurch konnten die Geschäftsprozesse für Netzplanung erheblich beschleunigt werden. Die Qualität der Daten wird durch die Aufdeckung von Ungereimtheiten zwischen Quellsystemen verbessert. Die Quell- und Zielsysteme innerhalb der Geschäftsprozesse wurden durch die Verwendung des Topologiedaten-ESB entkoppelt. Als Ergebnis reduzieren sich die Anzahl der Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen und damit einhergehend zukünftige Integrations- und Wartungskosten. Abhängig von den weiteren Anwendungsfällen und dem jeweiligen Informationsbedarf können weitere Systeme schrittweise an den Topologiedaten-ESB angeschlossen werden.

Der Topologiedaten-ESB bietet somit eine strategische Plattform für den nahtlosen Austausch von Nachrichten über das gesamte Unternehmen.

Wirtschaftliche Vorteile

Die Einführung eines solchen zentralen Enterprise Service Bus ist nicht nur aus technischer Sicht interessant; indem alle Systeme mit den für den technischen Betrieb notwendigen Daten versorgt werden. Vielmehr ergibt sich ein hoher wirtschaftlicher Nutzen: Für den IT-Betrieb der Systeme kann die Schnittstellenanzahl und -komplexität reduziert werden und damit auch die Entwicklungs-, Integrations- und Betriebskosten. Folgende Beispielrechnung macht dies deutlich:

Für die Bereitstellung der in verschiedenen dezentralen „Datentöpfen“ verteilten Topologie mittels einer Punkt-zu-Punkt-Anbindung verschiedener Systeme kann ein Aufwand von bis zu 120 Personentagen entstehen. Durch die Nutzung des Topologidaten-ESB können die Aufwände für die Schnittstellenprogrammierung auf schätzungsweise 10 Personentage reduziert werden.

Langfristig kommt außerdem die Idee zum Tragen, dass neue IT-Systeme standardmäßig mit einer CIM-basierten Schnittstelle ausgeliefert werden und eine Integration quasi nach dem Plug-and-Play-Prinzip erfolgt.

ESB als Basis für den Smart-Grid-Ausbau

Neben der vereinfachten Systemlandschaft ergibt sich aus dem Projekt zudem ein weiterer wichtiger Vorteil. Der Topologiedaten-ESB respektive langfristig ein allgemeiner ESB, der auf dem CIM-Datenmodell basiert, dient als Basis für den Ausbau der intelligenten Netze und unterstützt somit die Einbindung regenerativer Energiequellen. Erste Smart-Grid-Projekte im EWE-Umfeld greifen bereits auf diese Ressource zurück.Der entscheidende Vorteil des Topologiedaten-ESB ist, dass mit relativ geringem monetärem Aufwand ein komplett neuer IT-Ansatz in der Energiewirtschaft etabliert wird. Smart Grids werden erst Realität, wenn die IT-Systeme den Veränderungen auf der Erzeuger-/Verbraucherseite folgen können. Durch den Topologiedaten-ESB wird die IT von EWE fähig, die zukünftigen Herausforderungen im Umgang mit großen Datenmengen, vielen Datenpunkten und schnellen Veränderungen der Daten zu bewältigen.

Weitere Informationen

[1] IEC, „IEC 62357-1 TR Ed.1: Reference architecture for power system information exchange,“ 2011

[2] M. Uslar, M. Specht, S. Rohjans, J. Trefke, J. Gonzales, „The Common Information Model CIM IEC 61968/61970 and 62325 - A Practical Introduction to the CIM”, Springer: Berlin, 2012

[3] IEC, „Core IEC Standards,“ International Electrotechnical Commission; www.iec.ch/smartgrid/standards/

[4] M. Uslar, P. Beenken, C. Busemann, J. Gonzalez, J. Kamenik, C. Mayer, A. Nieße, S. Rohjans, T. Schmedes, M. Specht, T. Weidelt, K. Schwarz und F. Hein, „Untersuchung des Normungsumfeldes zum BMWi-Förderschwerpunkt „E-Energy - IKT-basiertes Energiesystem der Zukunft“,“ 2009

[5] M. Rohr, A. Osterloh, M. Gründler, T. Luhmann, M. Stadler, N. Vogel, „Using CIM for Smart Grid ICT integration,“ IBIS Journal Issue 1 (6) 2011 International Journal of Interoperability in Business Informations Systemy, Seiten 45-61, September 2011

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