Milliardenschwerer Zukunftsmarkt Smart Home als Geschäftsmodell

Kunden überzeugen: Das Interesse ist groß, aber noch verhalten sich viele Privathaushalte abwartend.

21.05.2014

Der Markt rund um die Energieversorgung im Smart Home ist in Bewegung. Längst mischen Mobilfunkanbieter und Start-ups mit, wenn es um Heizungssteuerung und das Energiesparen im Haushalt geht. Um nicht verdrängt zu werden und Kundenvertrauen zu gewinnen, müssen große Energieunternehmen jetzt handeln.

Mit dem Smartphone die Heizung regeln und den Stromverbrauch im Haushalt besser im Griff haben: Smart-Home­-Lösungen, die eine Steuerung der Haustechnik von überall und jederzeit ermöglichen, halten zunehmend Einzug in die Haushalte. Die fortlaufende Kontrolle des Wasser- und Stromverbrauchs ist bei den Verbrauchern eines der begehrtesten Zukunftsfeatures im digitalen Zuhause – das hat eine repräsentative Verbraucherbefragung im Rahmen der KPMG-Studie „Survival of the smartest – welche Unternehmen überleben die digitale Revolution?“ ergeben.

Mehr als die Hälfte der Deutschen – bei den unter 30-Jährigen sind es sogar mehr als zwei Drittel – gab an sich vorstellen zu können, künftig ihren Wasser- und Stromverbrauch mit dem Smartphone oder dem Tablet zu kontrollieren. Nur leicht geringere Werte ergab die Befragung für die smarte Sicherheitsüber­wachung von Haus und Wohnung oder die Steuerung von Haushaltsgeräten. Ein milliardenschwerer Zukunftsmarkt also, dem wir in den nächsten Monaten bei der Ausdifferenzierung zusehen können.

Die Möglichkeit, sich in diesem neuen Wettbewerb rund um die Energie­versorgung und -steuerung zu posi­tionieren, nutzen jedoch nicht nur die großen Stromkonzerne. Jüngst ist der Mobilfunkdienstleister Mobilcom-Debitel unter Aufwendung eines großen Werbe­budgets in den Endverbrauchermarkt für smarte Heizungssteuerung eingestiegen. Und auch Netzriesen wie Google haben die Chance längst erkannt. Anfang des Jahres gab der Konzern den Kauf des Thermostat- und Rauchmelder­herstellers Nest Labs bekannt. Mit der Übernahme schluckte Google jedoch nicht nur ein Unternehmen und seine Technologien in einem immer relevanter werdenden Markt, sondern erhält über die in den Haushalten installierten Geräte auch wertvolle Daten über das Nutzungsverhalten der Verbraucher und deren Gewohnheiten.

Die großen Energieanbieter sind auf diesem Feld alles andere als untätig – wenn zum Teil auch weniger aufmerksamkeitsstark. Sie bringen sich angesichts der neuen Wettbewerber in Stellung – oder verbünden sich mit ihnen, wie im Falle von RWE. Das Unternehmen verkündete im April seine Kooperation mit Nest Labs. Die britische Tochter RWE Npower wird der erste Energieversorger sein, der die Produkte von Nest Labs seinen Kunden anbietet. Ziel ist es, die Thermostate des Start-ups auch bald in anderen Ländern an den Verbraucher zu bringen.

Trend begleiten

Es vergeht kaum ein Monat ohne eine solche Meldung. Wer im Smart-Home-Markt künftig eine Rolle spielen will, muss den Trend daher richtig begleiten und sich auf die Verbraucher und ihr Konsumverhalten einstellen. Hierfür muss man seine Kunden kennen und über relevante Informationen verfügen. Energieversorger stehen durch den zunehmenden Einsatz erneuerbarer Energien vor der weiteren Herausforderung, dass sich der Verbrauch und die Erzeugung von Strom angleichen müssen. Ein Beitrag, um Stromspitzen und -flauten abzufangen, lautet daher: die Anpassung des Verbrauchsverhaltens an das Stromaufkommen. Das lässt sich durch die Smart-Home-Technologie effizienter beeinflussen und steuern – was auch den Bedürfnissen des Endkunden entspricht.

Mehrwert für Kunden bieten

Doch die alleinige Information, wann der Haushalt wie viel verbraucht, verhilft noch nicht zu Einsparungen. Mehrwert für den Endkunden würden vor allem neue Möglichkeiten zur Verringerung des Verbrauchs bieten – und hier mangelt es bislang an Lösungen. Durch Tarifsignale ist es zwar möglich, den Verbrauch in aufkommensstarke Zeiträume zu verlagern, doch das allein löst das Problem nicht. Ein Großteil des Verbrauchs ist im Tagesablauf an feste Zeiten gebunden und lässt sich kaum nennenswert verlagern: Gekocht und gegessen wird meist mittags, der Fernseher läuft abends. Zudem erreichen Geräte wie Waschmaschine, Spülmaschine und Trockner allein kein nennenswertes Einsparpotenzial. Gemeinhin wird von einem geringen Lastverschiebungspotenzial von gerade einmal 10 bis 20 Prozent gesprochen.

Trotz der Vorteile, die Smart-Home-­Technologien dem Kunden bieten müssen, sind Energieversorger gut beraten, bei der Entwicklung solcher Produkte mit Bedacht vorzugehen, um ihr Geschäft nicht selbst zu untergraben, sondern es über die gesamte Produktpalette hinweg zukunftsfähig zu machen. Denn tendenziell sinken die Verbrauchsmengen für Strom und Wärmeversorgung.

Dennoch bietet sich für die großen Energielieferanten eine Chance: Sie können durch die im Haushalt eingebauten Produkte von der Nähe zu ihren Kunden profitieren und vom Energielieferanten zum Dienstleister werden. Denn die erzeugten Datenmengen der Smart Meter ermöglichen den Kunden, ihren Energieverbrauch zu optimieren und die Energiekosten zu senken.

Zudem ermöglichen smarte Geräte Energieanbietern eine Weiterentwicklung des Geschäftsmodells, um Kunden stärker an sich zu binden und ihnen auf Basis der Daten zunehmend individualisierte Produkte anbieten zu können.

Um im Kampf um Kunden nicht vorschnell abgehängt zu werden, müssen Unternehmen das Thema Smart Home öffentlichkeitswirksam entwickeln – und dem Verbraucher dabei ein Partner sein. Verbraucher müssen besser über den Nutzen intelligenter Heimvernetzung informiert werden. Noch sind viele Systeme zu kompliziert in der Handhabung und zu teuer in der Anschaffung – Privathaushalte wollen erst einmal abwarten, wie sich der Markt entwickelt. Vor allem die aufwendige Installation der Geräte und die Steuerung der benötigten Software schrecken viele ab.

Vernetzt ist attraktiv

Gefragt sind deshalb durchdachte und integrierte Lösungen, die alle Punkte der Erzeugungs- und Verbrauchskette um­fassen: Die Gerätetechnik im Haushalt, die Technik von privaten Heizungs- und Stromerzeugungs­anlagen, die Entwicklung von Strom- und Wärmespeichern, Datenübertragung und (Fern-) Steuerungstechnologien, spezielle Tarife sowie eine Smartphone-App, die eine unkomplizierte Steuerung des Systems ermöglicht. Erst die Integration einzelner Komponenten aus Haustechnik, Smart Metern, intelligenten Haushaltsgeräten, Multimedia und Internet zu einem vernetzten Ecosystem macht Smart Home für den Endkunden wirklich attraktiv.

Hersteller- und technologieübergreifende Lösungen würden Smart-­Home-Systeme zudem anwenderfreundlich machen und den Verbrauchern die Scheu vor Investitionen nehmen. Niedrige Einstiegshürden in Bezug auf die Komplexität des Produkts und den Preis sind ebenso wichtig. Das Thema Smart Home auf die Agenda bringen, für Kunden attraktiver und anwendungsfreundlicher machen und mit Big Data neue Geschäftsfelder erschließen – in diesem Umfeld müssen die Energieversorger ihre Claims abstecken und ihre bisherigen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen. Die Kooperation mit Geräteherstellern, wie beispielsweise die Zusammenarbeit von RWE mit Nest Labs, ist sicher ein erster sinnvoller Schritt.

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