Neuroimaging Big Data im Gehirn

Hirntomografie oder Neuroimaging unterstützt Wissenschaftler dabei, Gehirnprozesse zu untersuchen.

Bild: iStock, LuckyBusiness
25.10.2016

MEG-/EEG-Geräte erfassen die elektrische Aktivität des Gehirns. Die Darstellung und die Verarbeitung der enormen Datenmengen, die dabei entstehen, stellt Wissenschaftler vor Herausforderungen. Eine Open-Source-Anwendung unterstützt Forscher ohne Programmierkenntnisse.

Hirntomografie oder Neuroimaging gibt Neuropsychologen und -wissenschaftlern nichtinvasive Techniken zur Untersuchung von Gehirnprozessen wie der Kampf-/Flucht-Entscheidung an die Hand. Dieses interdisziplinäre Forschungsgebiet hat sich seit den späten 90er Jahren rasant entwickelt. Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) kann für eine Kartierung der Topografie der Gehirntätigkeit eingesetzt werden, hat aber nur eine zeitliche Auflösung von etwa einer Sekunde, was sie für eine Untersuchung der dynamischen Abläufe im Gehirn nicht nützlich erscheinen lässt.

Die Technologien der Elektroenzephalografie (EEG) und der Magnetoenzephalografie (MEG) weisen eine zeitliche Auflösung von Millisekunden auf. Damit können Forscher die neurale Gehirntätigkeit in natürlicher Geschwindigkeit verfolgen.

Auflösung in Millisekunden

Ein weiterer Vorteil der MEG und der EEG ist ihre Empfindlichkeit auf neurale elektrochemische Signalgebung, was die Überprüfung von Hypothesen zu elektrophysiologischen Mechanismen der Tätigkeit von Hirnarealen zulässt. Schließlich verraten die hohe zeitliche Auflösung und die synoptische Abdeckung der kortikalen Aktivität aus MEG- und EEG-Daten Muster funktionaler Konnektivität zwischen Hirnarealen.

Die Entdeckung funktioneller Konnektivität im Neuroimaging dehnt die Forschung über das Abbilden wichtiger Funktionen, wie Wahrnehmung, motorische Kontrolle, Erinnerung und Sprache, hinaus aus. Die derzeitige Auffassung ist, dass die meisten Gehirnfunktionen eine Koordinierung der Aktivitäten in vielen Hirnarealen verlangen, die dynamisch in Netzwerken vereint werden. Die zeitliche Auflösung der MEG- und EEG-Aufnahmen in Millisekunden ist aktuell die beste Ressource für Neurowissenschaftler, wenn sie die Komplexität der elektrophysiologischen Aktivität aus vielen Hirnarealen gleichzeitig erfassen möchten. Viele Wissenschaftler denken auch, dass die meisten neurologischen und psychiatrischen Störungen mit geänderten Formen der funktionellen Konnektivität in Verbindung gebracht werden können. Diese transformative Annahme soll unser Wissen übers Gehirn wesentlich verbessern und Ärzten ermöglichen, neurologische Störungen zu verhindern und behandeln.

MEG-/EEG-Geräte erfassen die elektrische Aktivität des gesamten Hirnvolumens mit einer Scanrate von 1.000-mal pro Sekunde, was ungefähr 100 MB an Daten pro Minute ergibt. Die Darstellung und Verarbeitung der enormen Datenmengen, die solche Geräte erzeugen, stellt eine Herausforderung für Neurowissenschaftler dar. Erschwerend kommt hinzu, dass Neurowissenschaftler, -psychologen und Imaging-Wissenschaftler, die Methoden zur zeitaufgelösten Bildwiederherstellung aus MEG- und EEG-Daten entwickeln, nicht immer eng zusammenarbeiten. Diese Physiker und Elektroingenieure entwickeln meist hochtechnisierte Instrumente, die sie nur schwer an die Bedürfnisse der Wissenschaftler anpassen können.

Wissens-Gräben überbrücken

Um diesen Graben zu überbrücken, wurde die Open-Source-Softwareanwendung Brainstorm mit Matlab entwickelt. Mit Brainstorm können Forscher der Neurowissenschaften ohne Programmiererfahrung große MEG- und EEG-Datenvolumen darstellen und verarbeiten.

In den letzten zehn Jahren wurde Brainstorm von mehr als 10.000 Forschern weltweit herunterladen und in über 250 Zeitschriftenaufsätzen zitiert. Die Benutzer-Community von Brainstorm besteht zu ungefähr 70 Prozent aus Neurowissenschaftlern, also klinischen Forschern, Neuropsychologen und kognitiven Neurowissenschaftlern. Die restlichen 30 Prozent sind Tomografie-Wissenschaftler und Techniker mit dem Spezialgebiet MEG-/EEG-Methodenentwicklung. Darüber hinaus kommt Brainstorm häufig in anderen Forschungsumgebungen zur Anwendung, beispielsweise bei der Untersuchung der pathologischen Hirntätigkeit bei Epilepsie-Patienten.

Warum Matlab?

Matlab bietet Vorteile gegenüber herkömmlichen Programmiersprachen. Zum einen wurde sie von Physikern und Technikern konzipiert, die zunächst wenig über Softwareentwicklung wussten. Matlab ermöglichte ihnen, eine intelligente wissenschaftliche Anwendung mit extensiver grafischer Oberfläche zu entwickeln. Zum anderen ist Matlab in der Wissenschaft weit verbreitet. Die Forscher können daher direkt mit ihren Daten in Brainstorm arbeiten, neue Plug-ins hinzufügen und Ideen sowie Codeprototypen mit anderen Brainstorm-Benutzern austauschen.

Drittens ist Matlab eine produktive Entwicklungsumgebung. Dank der Fähigkeit zu interaktivem Debugging und zur Visualisierung von Daten konnten schnell neue Einsatzmöglichkeiten für Brainstorm geschaffen werden. Die Brainstorm-Oberfläche ist in Java geschrieben und in Matlab-Skripten eingebettet, so lässt sich von der engen Verflechtung zwischen den beiden Sprachen profitieren. Für die meisten 2D- und 3D-Datenabbildungen verwendet Brainstorm das Grafiksystem von Matlab, das die Erstellung von komplexen und interaktiven Szenen vereinfacht.

Brainstorm-Anwender können die Software herunterladen und installieren, selbst wenn sie keine lizenzierten Matlab-Benutzer sind. Mit Matlab Compiler und Matlab Compiler SDK wird eine Standalone-Version der Software bereitgestellt, die auf Windows, Linux und Mac OS-X ausgeführt werden kann. In künftigen Entwicklungen soll insbesondere eine engere Integration in die Python-Umgebung erfolgen, die seit Matlab 2014b bereitsteht.

Typischer Brainstorm-Prozess

In einer typischen MEG- und EEG-Studie werden zwischen 1 und 100 Personen unter verschiedenen Bedingungen getestet; in der Regel sind es 15. Die EEG-Daten werden von den Elektroden erfasst, die am Schädel der Person angebracht sind. MEG-Daten werden über Sensoren aufgezeichnet, die sich innen im MEG-Helm befinden.

Um die Ergebnisse dieser Experimente zu analysieren, verwenden die Forscher multimodale Datensätze: die MEG- oder simultanen EEG-Aufzeichnungen, die 3D-Positionen der Sensoren und die Anatomie des Kopfvolumens des Patienten – diese wird später mit der MRI aufgezeichnet.

Der erste Schritt im Standard-Brainstorm-Workflow ist der Import der MRI-Daten zusammen mit den Oberflächen, die den zerebralen Kortex und den Schädel darstellen. Der MEG-/EEG-Raum wird mit der MRI aufgezeichnet, indem die Sensoren auf der Schädeloberfläche des Patienten platziert werden. Im Anschluss werden die MEG-/EEG-Aufzeichnungen geprüft und vorverarbeitet. Im Brainstorm Data Viewer können die Benutzer umfangreiche Aufzeichnungen effizient durchsuchen, die Amplituden anpassen, interessante Ereignisse markieren und schlechte Segmente sowie verrauschte Sensoren oder andere Störungen kennzeichnen. Da es kein Standarddateiformat für MEG-/EEG-Daten gibt, wurden in Matlab herstellerspezifische Datenanalyse-Routinen für die gängigsten Formate entwickelt.

Effektive Rauschminderung

Die Vorverarbeitung von Rohdaten beinhaltet das Entfernen von Datenkomponenten, die durch Rauschen und Artefakte entstehen. MEG-/EEG-Signale werden in der Regel durch das Rauschen des Erfassungssystems selbst, die Umgebung und durch die Person selbst – also Bewegungen, Augenblinzeln, Herzschläge und Atmung – gestört. Je nach Art und Umfang der Rauschens sorgt eine Kombination aus Frequenzfiltern und Raumprojektoren für effektive Rauschminderung. Nach der Vorverarbeitung importieren Forscher die betreffenden Datensegmente in die Brainstorm-Datenbank, die daraus einen Satz MAT-Dateien erstellt. Diese enthalten strukturierte Matlab-Variablen unterschiedlicher Art. In einem typischen ereignisbezogenen Aufbau sind die Daten in Epochensegmenten rund um die Reizereignisse organisiert, wie beispielsweise Töne oder Bilder, die der Versuchsperson vorgespielt werden. Der Forscher rekonstruiert dann die Hirnaktivität aus den Messdaten. In dieser Phase wendet Brainstorm eine Vorwärtsmodellierung mit Randelementemethoden (Boundary Element Method, BEM) an, um ein Kopfmodell zu berechnen, indem die Anwendung neurale Ströme und MEG-/EEG-Sensormessdaten einander zuordnet. Der Forscher verwendet dann die erweiterten Brainstorm-Funktionen zur inversen Modellierung, um nach den kortikalen Quellen zu suchen, die einen spezifischen Satz an MEG-/EEG-Aufzeichnungen produziert haben.

Analyse per Batch-Verfahren

Sobald neurale Signale auf Sensor- und Quellebene abgreifbar sind, kann eine tiefere Analyse vorgenommen werden, um die spezifischen Auswirkungen des Experiments zu untersuchen. Spektral- und Zeit-Frequenz-Zerlegungen, Messungen der funktionellen Konnektivität zwischen Hirnarealen, Kreuz-Frequenz-Kopplungsmechanismen und statistische Interferenzen sind die typischen Methodengruppen, die zusammen mit zeitaufgelösten Hirntomografien und -signalen in Brainstorm verwendet werden.

Alle Brainstorm-Funktionen sind über standardmäßige Tastatur- und Mauseingaben verfügbar. Nach Austesten der Analysepipeline mit einigen Datensätzen auf der grafischen Oberfläche müssen Forscher üblicherweise dieselben Vorgänge an Hunderten von Datensätzen wiederholen. Brainstorm bietet dazu ein flexibles grafisches Batch-Verarbeitungstool: Der Benutzer wählt die zu verarbeitenden Dateien in einem Datenbank-Explorer aus und listet alle nacheinander an den ausgewählten Dateien auszuführenden Arbeitsgänge auf, und Brainstorm generiert automatisch ein Matlab-Batchskript. Das Skript kann als solches ausgeführt und als Forschungsprotokoll gespeichert oder mit weiteren Arbeitsgängen, die nicht in Brainstorm vorhanden sind, optimiert werden.

Da Brainstorm offen und erweiterbar ist, sind Benutzer aufgerufen, eigenen Matlab-Code einzubringen, um die vorhandenen Brainstorm-Arbeitsgänge, wie Filterung, statistische Analyse, Signal- und Bildverarbeitung, Vorwärts- und inverse Modellierung, zu ersetzen oder zu ergänzen.

Die Community einbinden

Zusätzlich zum Teilen dieser Plug-ins unterstützen Forscher diese Open-Source-Entwicklungsanstrengungen, indem sie ihre eigenen Konzepte und Matlab-Code einbringen. Weltweit angebotene Schulungen brachten zusätzlich neue Ideen ein.

Im letzten Jahr wurden Schulungen für etwa 900 Benutzer organisiert. In diesen Sitzungen können neue Benutzer Brainstorm kennenlernen, zusätzlich zu Onlinetutorials und Schulungsdatensätzen. Doch der Anbieter erfährt bei dieser Gelegenheit auch viel über die Nutzer: ihre Bedürfnisse, ihre Forschung und die verschiedenen Punkte, die sie in Brainstorm verwirrend oder schwierig finden.

Bildergalerie

  • Der Brainstorm-Desktop mit grafischen Oberflächen für Organisation, Verarbeitung und Darstellung von MEG-/EEG-Daten

    Der Brainstorm-Desktop mit grafischen Oberflächen für Organisation, Verarbeitung und Darstellung von MEG-/EEG-Daten

    Bild: Mathworks

  • Links: Versuchsperson in einem visuellen MEG-Experiment, Mitte: Darstellung der MEG-Sensoren in Brainstorm, rechts: Am Schädel mit EEG-Elektroden erfasste elektrische EEG-Potenziale

    Links: Versuchsperson in einem visuellen MEG-Experiment, Mitte: Darstellung der MEG-Sensoren in Brainstorm, rechts: Am Schädel mit EEG-Elektroden erfasste elektrische EEG-Potenziale

    Bild: Mathworks

  • Prüfung der Epilepsieaufzeichnungen mit Markierung der epileptischen Spitzen

    Prüfung der Epilepsieaufzeichnungen mit Markierung der epileptischen Spitzen

    Bild: iStock

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