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Distribution & Dienstleistung ESD-Gefahren sicher handhaben

BJZ GmbH & Co. KG

Michael Zwicknagl ist Prokurist / Vertriebsleiter bei BJZ

Bild: BJZ
02.09.2016

Die Empfindlichkeit elektronischer Bauteile nimmt durch Miniaturisierung und die Herstellung immer komplexerer Produkte stetig zu. Daher steigt die Bedeutung des ESD-Schutzes. Michael Zwicknagl von BJZ überprüft gängige Annahmen dazu und gibt hilfreiche Tipps zur Umsetzung.

Ist in einer Schutzzone ESD-Kleidung vorgeschrieben, kann reine Baumwollkleidung getragen werden.

Falsch. Kleidung ohne Zugabe von speziellen leitfähigen Fasern, wie beispielsweise reine Baumwollkleidung, kann sich bei niedriger Luftfeuchte sehr hoch elektrostatisch aufladen. Gemäß DIN EN 61340-5-1 muss aber ESD-Kleidung auch bei niedriger Luftfeuchte (23 °C, zwölf Prozent Luftfeuchte, 48 Stunden Konditionierung) die geforderten Widerstandswerte einhalten. Sonst ist die Kleidung nicht für den Einsatz in elektrostatisch geschützten Bereichen (EPA, electrostatic protected area) geeignet, da die hier geforderten klimatischen Bedingungen eine Nutzung im Winter simulieren.

ESD-Kleidung dient zur Ableitung elektrostatischer Ströme.

Falsch. Handelsübliche ESD-Schutzkleidung ist in ihrer Funktion nicht für die Ableitung elektrostatischer Ströme gedacht und geeignet. Sie dient lediglich dazu, die von der Straßenkleidung ausgehenden elektrostatischen Felder von den elektrostatisch gefährdeten Bauteilen oder -gruppen abzuschirmen. Daher ist es zwingend erforderlich, die ESD-Schutzkleidung geschlossen zu halten. Zur Ableitung elektrostatischer Ströme muss spezielle erdungsfähige ESD-Schutzkleidung eingesetzt werden.

ESD-Boden und Schuhe sind als Haupterdungsmaßnahme ausreichend.

Richtig und falsch. Die Annahme ist differenziert zu betrachten: Entscheidend sind die Ableitwerte des Systems Mensch-Schuhe-Boden. Bei einem Wert von kleiner 3,5 x 107 Ohm ist die Kombination ESD-Boden und Schuhe ausreichend. Allerdings muss bei über 3,5 x 107 Ohm ein Erdungsarmband auch bei stehenden Tätigkeiten eingesetzt werden. Zudem ist es empfehlenswert, bei empfindlichen ESDS (electrostatic discharge sensitive devices) immer ein Erdungsarmband zu verwenden: Das System Mensch-Schuhe-Boden funktioniert nur dann, solange mindestens ein ESD-Schuh Kontakt zum Boden hält. Dies kann aber nicht in jedem Fall garantiert werden. Daher sollten beim Einsatz von Schuherdungstreifen auch immer beide Füße ausgestattet werden.

Ein ESD-Stuhl kann in einer Schutzzone als Haupterdungsmaßnahme eingesetzt werden.

Falsch. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Stuhl als Haupterdungsmaßnahme üblicherweise nicht geeignet ist, da ein dauerhafter Ableitwiderstand von weniger als 3,5 x 107 Ohm nur schwer zu gewährleisten ist. Außerdem muss der Ableitwiderstand regelmäßig überprüft werden. Dies stellt einen nicht zu unterschätzenden Aufwand dar. Die Ableitung erfolgt über die Rollen des ESD-Stuhls, weshalb verschmutzte oder abgenutzte Rollen sowie unterschiedliche Böden den Ableitwiderstand stark beeinflussen können. Darüber hinaus spielt der Anpressdruck, der sich aufgrund des Körpergewichts von Person zu Person unterscheidet, eine große Rolle. Eine weitere Unsicherheit stellt die Sitzposition dar: Lehnt sich die Person an oder nicht? Denn die Kontaktfläche zwischen Stuhl und Person besitzt maßgeblichen Einfluss auf die Ableitfähigkeit.

Bei der Überprüfung von ESD-Produkten ist der Oberflächenwiderstand der entscheidende Faktor.

Falsch. Der Oberflächenwiderstand dient lediglich als Anhaltspunkt. Er sollte niemals als alleiniger und entscheidender Wert verwendet werden. Liegt der Oberflächenwiderstand innerhalb der von der
DIN EN 61340-5-1 vorgegebenen Parameter, gibt uns dies lediglich den Hinweis, dass das verwendete Material ESD-Eigenschaften besitzt. Doch erst die Kontrolle der Ableit- und Systemwiderstände gibt Gewissheit, ob das Produkt normenkonform und damit für elek-
trostatisch geschützte Bereiche geeignet ist. Beispielsweise gibt die Kontrolle des Oberflächenwiderstandes von einem Arbeitstisch lediglich den Hinweis, dass die Oberfläche ESD-Eigenschaften besitzt. Wichtig ist allerdings, dass der Tisch in seiner Gesamtheit ableitfähig ist. Außerdem muss er richtig geerdet sein. Nur die Kontrolle des entsprechenden Ableit- und Systemwiderstands gibt darüber Auskunft.

Pink- oder Rosa-Verpackungsbeutel eignen sich als Außerhausverpackung von elektrostatisch gefährdeten Bauteilen.

Falsch. Pink-Poly-Beutel laden sich nicht auf, besitzen aber ansonsten keine ESD-Schutz-
eigenschaften. Bei Verwendung von Pink- oder Rosa-Verpackungsbeuteln können die verpackten Baugruppen bei einem ESD-Ereignis beschädigt oder zerstört werden. Diese Verpackungsbeutel können durchaus innerhalb einer ESD-Schutzzone als Staub- oder als Stoßschutz (Luftpolsterfolienbeutel) eingesetzt werden. Außerhalb der elektrosta-
tisch geschützten Bereiche kann das Material zwar auch verwendet werden, allerdings nur in Verbindung mit einer abschirmenden Umverpackung. Da sich diese Materialien nicht aufladen, stellen sie innerhalb elektrostatisch geschützten Bereiche keine Gefahr für ESDS dar. Die Materialien verlieren jedoch nach zirka ein bis zwei Jahren diese Eigenschaft. Auf Grund dessen müssen sie dann aus dem elektrostatisch geschützten Bereich entfernt werden.

Bei Verwendung von Ionisatoren lassen sich auch Isolatoren in einer ESD-Schutzzone einsetzen.

Richtig. Unter bestimmten Voraussetzungen können durch den Einsatz eines Ionisators elektrostatische Ladungen neutralisiert werden, so dass Isolatoren eingesetzt werden können. Allerdings muss geprüft werden, ob der am Isolator ankommende Ionenstrom ausreicht, die elektrostatische Ladung zu neutralisieren. Hierbei ist zu beachten, dass die Luftströmung maßgeblich ist. Ein geöffnetes Fenster, eine Klimaanlage oder auch eine Heizung können die Luftströmung innerhalb der ESD-Schutzzone stark beeinflussen. Des Weiteren müssen die Ionisatoren regelmäßig gereinigt und auf Funktion geprüft werden, da die Emitterspitzen leicht verschmutzen. Aufgrund der genannten Probleme, sollte auf Ionisation nur dann zurückgegriffen werden, wenn keine Substitutionsmöglichkeit durch ESD-Materialien besteht.

ESD-Werkzeuge können eine Gefahr für ESDS darstellen.

Richtig. Beim Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren kann es beim Einsatz von ESD-Werkzeugen mit Metallanteilen, wie etwa die Klinge eines Schraubenziehers, zu ESD-Problemen kommen. Ausschlaggebend dafür sind sowohl die Kapazität als auch das Potenzial der Klinge sowie des Bauteils beziehungsweise der Baugruppen. Ist die Kapazität der Klinge größer als die des Bauteils und besitzt sie außerdem ein anderes Potenzial, kann es auf Grund der Kapazität zu einem ESD-Ereignis, etwa einer unkon-
trollierten Entladung oder einem Potenzialausgleich, kommen. Im Zuge dessen kann das ESDS beschädigt oder sogar zerstört werden. Daher ist bei empfindlichen ESDS der Einsatz von ESD-Werkzeug mit einem Keramikanteil anstatt des Metallanteils empfehlenswert.

ESD-Messgeräte müssen jährlich kalibriert werden.

Falsch. Es gibt keine Angabe innerhalb der Norm 61340-5-1, die einen Turnus für die Kalibrierung von ESD-Messgeräten exakt vorgibt. Üblicherweise gibt der vom ESD-Koordinator erstellte Kontrollplan vor, wann die ESD-Messgeräte kalibriert werden müssen. Wenn der Kontrollplan keine Vorgaben zu den Kalibrierinterval-
len enthält, sollte die Kalibrierung der Messgeräte gemäß dem vom Qualitätsmanagement festgelegten Kalibrierintervall für Messmittel erfolgen. Allgemein üblich ist es hier, die Geräte einmal jährlich zu kalibrieren.

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