Automobilelektronik „Das Fahrzeug als Recheneinheit“

Klaus Härtl, Leiter Elektronik-Entwicklung bei Betrandt

28.01.2014

Wie kann man sich am Markt als Dienstleister für Elektronik-Entwicklung durchsetzen? Wie Kunden binden und geeignete Arbeitskräfte finden? Fachbereichsleiter Klaus Härtl von Bertrandt erläuterte uns dies im persönlichen Gespräch.

Mobility 2.0: Große Trends sind heute im Auto Vernetzung und Assistenzsysteme. Beides soll Sicherheit und Komfort verbessern. Wann wird das Auto all das können, was wir wollen?

Klaus Härtl: Das ist stark von Personengruppen und Anforderungen abhängig. Wir sind auf einem guten Weg zum automatisierten Fahren, zum autonomen Fahren wird es noch länger dauern. Die Funktionen im Auto werden immer weiter reifen. Sicherheit steht dabei ganz klar im Fokus, gefolgt von Komfortfunktionen. Ganz nach dem Motto „Safety first“.

Was ist denn die neueste Entwicklung in Sachen Sicherheit?

Das ist die Personendetektion. Man konzentriert sich dabei auf die schwächste Gruppe der Verkehrsteilnehmer, sprich Fußgänger und Radfahrer. Unsere eigene Entwicklung beispielsweise heißt „b.move“, mit der wir Sensoren und Berechnungsverfahren im Einsatz testen.

Wie sieht das genau aus?

„b.move“ ist eine satellitengestützte, mobile Messtechnik in Verbindung mit einem echtzeitfähigen Software-Framework, das Positions- und Umfelddaten wie Bild, Radar oder Ultraschall sowie fahrzeugbezogene und Sensor-Daten zeitsynchron fusioniert. Das heißt, wir detektieren hochgenau verschiedene Objekte zueinander, um eine Beurteilung von Algorithmen und der vollständigen Systemfunktionen zu ermöglichen. Die Kunst dabei ist es, die großen Datenmengen effizient auszuwerten, um schnell einen Überblick über relevante Parameter zu bekommen. Wir entwickeln die Systeme allerdings nicht als Tier 1 oder OEM. Wir unterstützen als Dienstleister unsere Kunden bei der Entwicklung eigener Lösungen.

Kriegt man die ganzen Funktionen überhaupt noch im Auto unter?

Durch Sensorfusionierung und der Interaktion der Systeme zueinander werden die Elektronik-Architekturen der Fahrzeuge immer komplexer. Ein System arbeitet in den wenigsten Fällen – und auch in Zukunft noch viel weniger – autark, sondern es zehrt von dem Verbund der Informationen anderer Systeme. Das ist das Entscheidende dabei, und deshalb legt man heute schon Wert darauf, alles wieder ein Stück zusammenzuführen. In der automobilen Oberklasse etwa haben wir 70 bis 80 Steuergeräte in einem Fahrzeug. Es gibt zwar auch Zentralsteuergeräte, auf denen mehrere Steuerungen gebündelt werden, um die Anzahl zu reduzieren – es kommen aber immer wieder neue Funktionen und Sensoren dazu. Der Schritt wird zu „intelligenten“ Sensoren gehen, in denen eine Signal-Vorverarbeitung stattfindet und von denen bereits aufbereitete Daten weitergegeben werden. Man muss und wird Methoden finden, das Fahrzeug als große Recheneinheit zu verwenden.

Bei den vielen Daten, die da hin und her geschickt werden – etwa in die Cloud – ist das Auto aber auch angreifbar.

In der Tat. Die Datenmengen, die zwischen dem Auto und den Servern ausgetauscht werden, müssen gebündelt und abgesichert werden. Etwa mit Firewalls, Verschlüsselungsmethoden oder Berechnungsalgorithmen und Autorisierungen.

Wo geht der nächste Schritt hin?

Teilautonomes oder automatisiertes Fahren wird sicherlich in den nächsten Jahren die Herausforderung sein. Bis 2020/2025 soll es funktionsfähige Systeme geben. Was funktional machbar ist, ist allerdings die eine Sache. Das andere ist, wie man mit den rechtlichen Fragen umgeht. Bis heute gibt es wenig Grundlagen oder gar ein Gesetz, wie das Thema autonomes Fahren behandelt wird. Da geht es auch nicht nur um Deutschland, sondern um eine Einigung für alle Länder, in denen die Autos verkauft werden.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen, die die Vernetzung mit sich bringt?

Das sind dieselben wie die unserer Kunden, da wir ja Entwicklungsaufgaben übernehmen. Wir müssen das technische Verständnis haben und die Leistungen anbieten können, egal ob das nun ein Stück Software ist, ein Validierungsprozess oder eine Machbarkeit darstellt. Allerdings forschen wir nicht typischerweise an einem bestimmten Produkt. Das Produkt, das wir vertreiben, ist das Brain unserer Ingenieure. Man muss erkennen, was künftig relevant ist, um sich rechtzeitig mit Technologien, Methoden und Prozessen vertraut zu machen.

Einige Hersteller geben die Elektronikentwicklung allerdings erst gar nicht aus der Hand. Wie gehen Sie damit um?

Insbesondere bei neuen Technologien wollen sie erst einmal selber Erfahrungen sammeln. Bei anderen Themen wollen sie einen Partner einbinden. An dieser Stelle sind wir als Dienstleister gefragt. Bei der Fülle an technologischen Neuheiten und Herausforderungen heute muss man Kernthemen für sich definieren sowie Inhalte, die man mit externen Partnern gemeinsam abwickeln will.

Nun sind Sie ja nicht ganz allein auf dem Elektronikmarkt. Wie will Bertrandt sich gegen Mitbewerber mit hoher Elektronikkompetenz durchsetzen?

Das eine ist es, sich durch hohes technisches Know-how auf Augenhöhe mit dem Kunden zu bewegen. Zum anderen haben wir durch das Arbeiten an verschiedenen Standorten viel unterschiedliches Wissen, auf das wir zugreifen können. Wir profitieren von dem Netz aus dezentralen Strukturen. Wichtig ist es, das Wissen nutzbar zu machen und nah am Kunden zu sein – physikalisch und technisch.

Wo bekommen Sie denn die Ingenieure dafür her?

An erster Stelle steht bei uns die Mitarbeiterbindung. Zum anderen werden neue Mitarbeiter schnell in Projekte integriert. Zudem haben wir im Fachbereich etwa 5 bis 10 Prozent Praktikanten und Studenten, die ihre Abschlussarbeit bei uns schreiben. Das bedeutet zwar einen hohen Betreuungsaufwand, aber das ist es uns wert. Schließlich sind das die Mitarbeiter der Zukunft. Mit technischen Trainings und internen Schulungen transferieren wir außerdem Wissen an Mitarbeiter.

Schauen Sie sich auch im Ausland nach Fachkräften um?

Ja, wir haben auch Auslandsniederlassungen in Frankreich, Spanien oder England. Wir versuchen, die Länder zu adressieren, in denen gut ausgebildete Leute offen für Veränderung sind. Diese Menschen möchten wir bei uns integrieren. Entweder am jeweiligen Standort oder auch in den deutschen Niederlassungen.

Auf was legt Bertrandt in Zukunft besonderes Augenmerk?

Wir folgen den Trends, zum Beispiel rund um Hybrid- und Elektrofahrzeuge. Außerdem allem, was den Weg Richtung automatisiertes Fahren ebnet, mit allen Connect-Diensten, mit den ganzen Herausforderungen, die die Datenvielfalt und die Sensoren mit sich bringen – Stichwort „Car-IT“. Mit „Bertrandt Services“ wollen wir außerdem die Entwicklungen der Elektronik aus dem Automobilbereich in andere Branchen transferieren, etwa in Smart-Home-Anwendungen oder die Medizintechnik: „Ambient Assisted Living“, auf Deutsch „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben“, werden immer wichtiger. Im Mittelpunkt steht auch hier das Zusammenspiel von Daten.

Das Interview führte Katrin Alber,​ Mobility 2.0.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel