Embedded-Systeme & Mikrocontroller Robuste ESD-Filter für ICs


ESD-Schutzfilterbeschaltung eines IC

18.10.2012

Elektrostatische Entladungen (ESD) können durch Berührung elektrischer Kontakte verursacht werden und elektronische Komponenten schädigen. Messnormen beschreiben Messverfahren zur Bestimmung der ESD-Festigkeit elektronischer Systeme. Die Anschlüsse von ICs können entweder per Design oder mithilfe vorgeschalteter Schutzelemente auf hohe ESD-Festigkeit ausgelegt werden. Dass gängige SMD-Bauteile nicht unbedingt für den ESD-Schutz empfindlicher IC-Pins geeignet sind, zeigte die Untersuchung eines Mikrocontrollers.

Soll ein Sensor in einem Fahrzeug Signale zu einem entfernten IC übertragen, können auf dem Übertragungsweg ESD-Ereignisse auftreten, deren Energie dann ebenfalls an die IC-Pins gelangt. Diskrete Schutznetzwerke aus SMD-Bauteilen gemäß Abbildung 1 sollen die nicht ESD-festen Pins vor Zerstörung schützen. Sie müssen so dimensioniert werden, dass das Nutzsignal im normalen Betrieb vom IC erkannt wird. Neben speziellen ESD-Elementen wie z. B. TVS-Dioden werden oft auch RC-Tiefpässe verbaut.

Der Kondensator sitzt nah am Gerätestecker und führt dort einen Großteil der ESD-Energie gegen Masse ab. Die verbleibende Energie wird über einen Widerstand auf verträgliche Werte reduziert und gelangt zum IC-Pin. Eine Untersuchung am 32-Bit-Microcontroller TriCore TC277 in 65 nm CMOS-Technologie sollte die ESD-Festigkeit aller Pins gegen System-ESD-Pulse mit einer Entladepistole gemäß ISO 10605 [2] bis 8 kV ermitteln. Die Nutzsignal-Datenraten bewegen sich hierbei unter 100 kHz, sodass 4,7 nF und 10 kΩ geeignete Filterwerte darstellen, welche das Nutzsignal nicht unzulässig beeinflussen. Die Nominalwerte der Kapazität von Keramikkondensatoren abzüglich Toleranz werden von den Herstellern für Spannungswerte unterhalb der Nennspannung garantiert. Oberhalb der Nennspannung, die typischerweise zwischen 50 und 200 V liegt, ist zwar noch nicht gleich mit einer Zerstörung des Kondensators zu rechnen, jedoch mit einer weiteren Abnahme seiner Kapazität. Leider wird der Kapazitätsverlauf oberhalb der Nennspannung in den Kondensator-Datenblättern nicht dokumentiert. Wir haben parallel zu den Messungen mithilfe einfacher Simulationsmodelle die zu erwartende Spitzenspannung über dem Filterkondensator für eine spannungsunabhängige Nennkapazität berechnet. Diese lag für Werte von 4,7 nF und höher unterhalb von 300 V für Entladespannungen bis 8 kV. Erstaunlicherweise beobachteten wir bei unseren physikalischen Tests oft Funkenüberschläge zwischen den SMD-Kondensatoranschlüssen, obwohl entsprechende Messungen an Kondensatoren der Baugröße 0603 solche Überschläge erst oberhalb von 650 V zeigten. Reine Luftentladungen über 0,6 mm (entsprechend einer SMD-Bauform 0603) traten sogar erst oberhalb von 2.500 V auf.

Für ESD spielt die Bauteilgröße eine wesentliche Rolle, da sie den Abstand der elektrischen Kondensatoranschlüsse bestimmt. Da verbreitet 0603-Bauteile als ESD-Filterkondensatoren eingesetzt werden, verwendeten wir für unsere Tests zunächst diese Baugröße. Neben dem unerwarteten Auftreten von Funkenüberschlägen beobachteten wir außerdem eine signifikante Degradation der ESD-Filterkondensatoren. Nach einigen Entladungen war ihr Durchgangswiderstand von mehr als 10 MΩ auf ca. 3,5 kΩ abgesunken; weitere Entladungen führten zum dauerhaften Kurzschluss des Kondensators mit einem Durchgangswiderstand von weniger als 1 Ω. 0805-Kondensatoren degradierten bis zu einer ESD-Entladespannung von 6 kV nicht.

Das zu schützende IC wird zwar immer noch funktionieren, da der ESD-Schutz durch den Kurzschluss sogar besser geworden ist; das nützt jedoch nichts, weil das Nutzsignal durch den Kurzschluss gegen Masse unzulässig beeinflusst wird. Somit wird das System nicht mehr funktionieren. Experimentell konnten also Kondensatorbauformen 0805 oder größer als ausreichend robust gegen ESD-Pulse bis zu 6kV validiert werden. Zu klären war aber noch die Diskrepanz zwischen den beobachteten Funkenüberschlägen, die eine Potenzialdifferenz von mehr als 650 V erfordern, und der berechneten Potenzialdifferenz von weniger als 300 V. Die Ursache lag zwar bekanntermaßen in der Vernachlässigung der Spannungsabhängigkeit der Kapazität; wir wollten jedoch herausfinden, welche Charakteristik diese Spannungsabhängigkeit aufweist. Dazu betrachteten wir die Feldcharakteristik eines Mehrlagen-Keramikkondensators (MLCC, Multi-Layer Ceramic Insulator Technology) [3].

Das Verschiebungsfeld wird durch die Ladung bestimmt, aufgrund dessen sich ein der Spannung proportionales elektrisches Feld ausbildet. Die Funktion D(E) der Feldgrößen D und E in Gleichung 1 kann somit gemäß Gleichungen 2 und 3 durch die Funktion Q(U) der Ladung und Spannung mit derselben Charakteristik dargestellt werden.Gl. 1Gl. 2Gl. 3Durch Differenzieren erhält man schließlich die Kapazität gemäß Gleichung 4. Gl. 4Schließlich müssen noch die Koeffizienten a1, a2 und a3 durch neue Werte b1, b2 und b3 ersetzt werden (Gleichung 5). Diese Werte variieren mit der jeweiligen Kondensatorcharakteristik und können durch Messungen bestimmt werden. Gl. 5Gleichung 6 beschreibt schließlich die spannungsabhängige Kapazität eines MLCC-Keramikkondensators.Gl. 6Die experimentelle Bestimmung der Parameter b1, b2 und b3 geschah mithilfe eines Transmissionline-Pulsers, der den untersuchten Kondensator auflud. Spannung und Strom der Ladekurve wurden mit einem Oszilloskop bzw. einer Stromzange gemessen [4]. Unter Zuhilfenahme des in Gleichung 7 dargestellten Zusammenhangs zwischen Ladung und Strom wurden die Q(U)-Kurven aufgenommen. In Abbildung 2 ist links oben die Q(U)-Kurve für einen keramischen 10 nF-Kondensator im 0603-Gehäuse dargestellt. Aus diesen Werten können die Koeffizienten b1, b2 und b3 bestimmt und in Gleichung 5 eingesetzt werden. Durch Differenzieren erhält man gemäß Gleichung 6 die C(U)-Kurve, die in Abbildung 2 unten gezeigt sind.Das aus den beschriebenen Erkenntnissen abgeleitete optimierte Ersatzschaltbild eines realen MLCC-Kondensators ist in Abbildung 2 rechts gezeigt. Es enthält eine spannungsabhängige Kapazität C(U1) und einen parallelen Entladepfad als Funkenstrecke. Diesen Entladepfad haben wir nicht charakterisiert, da wir nur an der Bestimmung der spannungsabhängigen Kapazität interessiert waren. Weil diese signifikant mit der Spannung abnimmt, steigt die Spannung mit zunehmender Ladung überproportional an. Das erklärt die bei den ESD-Tests beobachtete Funkenentladung.Tabelle 1 listet die zu erwartenden Maximalspannungen Umax während einer 8 kV-ESD-Entladung gemäß ISO 10605 für verschiedene Kondensatoren auf. Für Umax größer als 650V ist mit Funkenentladungen und - vorzugsweise bei Mehrfachentladungen - mit Bauteildegradation zu rechnen.

Zusammenfassung

Keramische MLCC-Kondensatoren verringern ihre Kapazität mit steigender Spannung. Dadurch können sie weniger Ladung aufnehmen und die Spannung im ESD-Fall wird höher als dies bei konstanter Kapazität der Fall wäre. Dieses Verhalten erklärt die bei ESD-Pistolentests beobachteten Funkenentladungen. Für die ESD-mäßig zuverlässige Kondensatorauswahl wäre es hilfreich, von den MLCC-Herstellern im Datenblatt Werte für C(U) über die Nennspannung hinaus zu bekommen. Dies ist leider heute nicht der Fall. Als Vorsichtsmaßnahme sollten nur Bauformen 0805 oder größer als ESD-Schutzkondensatoren verwendet werden. Kleinere Bauformen mögen noch gegen einzelne Entladungen schützen, degradieren jedoch ziemlich sicher bei Mehrfachentladungen. Dann ist die Funktionalität des elektrischen Systems aufgrund der Nutzsignalbeeinflussung nicht mehr gewährleistet.

Literatur

[1] IEC 61000-4-2 Ed. 2.0 2008-12: Testing and measurement techniques - Electrostatic discharge immunity test. [2] ISO 10605 2nd Ed. 2008-07-15: Test methods for electrical disturbances from electrostatic discharge. [3] Gordon R. Love, Energy Storage in Ceramic Dielectrics, Journal of the American Ceramic Society, Februar 1990. [4] Stanislav Scheier, Stephan Frei, Analysis of Passive ESD-Filters, Technical Report, Technische Universität Dortmund, Februar 2013.

Bildergalerie

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        Aufbau und Feldcharakteristik eines Keramikkondensators

    Aufbau und Feldcharakteristik eines Keramikkondensators

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        Optimiertes Ersatzschaltbild eines MLCC-Kondensators

    Optimiertes Ersatzschaltbild eines MLCC-Kondensators

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