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Intelligente Werkzeugmaschinen „Konkret mit Industrie 4.0 loslegen“

Bild: Jessica Schuster, A&D
06.05.2016

Die Werkzeugmaschine 4.0 zeigt, welche Mehrwerte sich durch intelligente Sensorik und Vernetzung generieren lassen. Was hinter der Lösung steckt und welches Potenzial sie Kunden bietet, erläutern von Schaeffler Martin Schreiber, Leiter Product Sales Industrie, und Roberto Henkel, Segmentleiter des Leitsegmentes Genauigkeitslager, im Gespräch mit A&D.

A&D:

Wie kam es zur Idee der Werkzeugmaschine 4.0?

Schreiber:

Über „Industrie 4.0“ wird viel geredet. Wir wollten das Thema konkret umsetzen, um der theoretischen Diskussion praktische Erfahrungswerte hinzufügen zu können. Bei der Umsetzung haben wir uns an die Technologie-Demonstratoren angelehnt, mit denen unsere Automobil-Sparte zeigt, an welchen neuen Technologien, Konzepten und Ideen Schaeffler gerade arbeitet. Wenn wir das mit Autos tun können, dann auch mit einer Werkzeugmaschine. So entstand die Idee, zusammen mit DMG MORI, einem unserer größten Werkzeugmaschinenkunden aber auch einer unserer wichtigsten Zulieferer von Werkzeugmaschinen, einen Innovationsträger im Rahmen eines konkreten Investitionsvorhabens aufzubauen.

Sie setzen die „Show-Maschine“ aber für die eigene Produktion ein?

Schreiber:

Ja, unser Ansatz war eben kein Messeexponat aufzubauen, sondern eine reale Maschine, die wir in die Serienfertigung integrieren. Nur so lernen wir den realen Nutzwert und die Möglichkeiten besser kennen. Neben einem Anbieter von Produkten und Services für die Werkzeugmaschinenindustrie sind wir auch einer der größten Anwender von Werkzeugmaschinen. Unter Praxisgesichtspunkten wollen wir schnell Erkenntnisse erlangen, die alle Vorteile einer Werkzeugmaschine 4.0 zeigen.

In der Werkzeugmaschine 4.0 gibt es viele Sensoren und alles ist vernetzt. Haben Sie keine Sorge um die Zuverlässigkeit?

Henkel:

Wir haben die Maschine seit einem halben Jahr im Einsatz, negative Erfahrungen gibt es bisher nur wenige. Natürlich waren wir anfangs unsicher, was passiert, wenn wir über 60 zusätzliche Sensoren in die Maschine einbauen. Wir haben die Maschine aber auch bewusst mit maximaler Sensorik ausgestattet, um Erfahrungen zu sammeln, welche Messwerte, Logik und Intelligenz notwendig sind - und an welcher Stelle. Darauf basierend lässt sich dann gezielt abspecken, damit die Kosten sinken, die erforderliche Aussagequalität der generierten Werte aber unverändert hoch bleibt.

Sind Nachrüstkits bei den langen Maschinenlaufzeiten nicht der schlauere Ansatz?

Schreiber:

Unabhängig von diesem konkreten Projekt überlegen wir uns, wie man bestehende Maschinen und Anlagen über Nachrüstkits fit für Industrie 4.0 machen könnte. Ein möglicher Fall wäre, wenn ein Anlagenbetreiber beispielsweise nicht 50 Maschinen neu bestellen kann und erstmal Transparenz in seine Fertigung bekommen will. Über Nachrüstkits lassen sich dann die Schlüsselmaschinen vernetzen und die Auslastung oder anstehende Wartungen besser überwachen. Die Gesamtanlageneffektivität steigert sich durch diesen Industrie-4.0-Ansatz mit überschaubaren Investitionen, ohne gleich komplett neue Maschinen kaufen zu müssen. Natürlich sind die Möglichkeiten bei Nachrüstkits wesentlich beschränkter als bei einer auf Vernetzung optimierten Werkzeugmaschine 4.0, aber es ist ein guter Anfang.

Welche Kräfte erfassen Sie bei der Werkzeugmaschine 4.0 und was machen Sie damit?

Henkel:

Wir können beispielsweise in Echtzeit Daten generieren, auf deren Basis wir die Kraft an der Werkzeugschneide bestimmen, um damit zukünftig eine dynamische Standzeitbetrachtung für die eingesetzten Werkzeuge zu realisieren. Für einen neuen Auftrag müssen wir dann nicht wie bisher alle Altwerkzeuge aus der Maschine vollständig entnehmen, um bspw. für einen neuen Auftrag 40 neue Werkzeuge aufzurüsten, sondern wir wissen über die Kräfteermittlung in Echtzeit welche Reststandzeit ein Werkzeug noch hat, um zum Auftragswechsel nur die wirklich verbrauchten Werkzeuge auszutauschen. Hierdurch verkürzen sich die Rüstzeiten deutlich, die Kosten sinken und die Maschine arbeitet effektiver.

Bestellen Werkzeugmaschinen künftig autonom ihre Wartung und Ersatzteile?

Schreiber:

Ja, unsere Vision ist eine autonome Maschine.

Henkel:

Ich möchte gerne das Wissen des Facharbeiters einsetzen, um Prozesse zu optimieren, nicht um Ersatzteile zu bestellen oder das Fettreservoir einer Lagerstelle zu prüfen. Vorbeugung und eine transparente planbare Instandhaltung sind ein zentrales Thema und Zielstellung der Digitalisierung. Erkennt die Werkzeugmaschine 4.0, dass beispielsweise der Füllstand eines Fettreservoir für eine bedarfsgerecht geschmierte Lagerstelle niedriger wird, kann eine smarte Maschine zukünftig den Bestell- und Wartungsprozess für die Wiederbefüllung des Fettreservoirs autonom im Beschaffungs- und Instandhaltungssystem absetzen.

Welchen Mehrwert erzeugt das Energie-Monitoring der Werkzeugmaschine?

Henkel:

Wir haben die Maschine in die Lage versetzt, die drei Primärverbräuche Strom, Kühlschmiermittel und Luft in Echtzeit sehr granular zu erfassen. Eine konkrete Idee ist, den auf der Maschine gefertigten Bauteilen einen Energieausweis auszustellen. Die Werkzeugmaschine 4.0 ist damit in der Lage, über eine teileindividuelle und bauteilbezogene Erfassung der benötigten Menge an Strom, Luft und Kühlschmiermittel zusätzliche Informationen an das PPS-System während der Produktion weiterzugeben. Mit diesen Informationen sollen dann sowohl produktbezogene Energiebilanzen über den Produktwertstrom als auch in die Zukunft gerichtet Prognosen zu Energiebedarfen basierend auf dem geplanten Produktionsprogramm ermöglicht werden. Energie kann dadurch gezielter und kostengünstiger eingekauft und energetische Überlasten in einer Fabrik können vermieden werden.

Heißt Industrie 4.0 für Sie auch, vorhandene Technologien sinnvoll nutzen – beispielsweise bei der Einbindung von Smartphones und Tablets?

Schreiber:

Ja. Zum Beispiel erkennt die Werkzeugmaschine das mobile Gerät über normale Bluetooth-Technologie. Rollengerecht sehe ich dann auf dem Display die für mich wichtigen Informationen. Für uns ist interessant, was den Anwender wirklich weiter bringt. Viele smarte Lösungen lassen sich dann mit Basistechnologien realisieren, die wir heute schon haben. Bei Industrie 4.0 muss das Rad nicht neu erfunden werden - es gilt, Lösungen schlau zu kombinieren.

Die Analyse und Sammlung der Daten kann lokal im Gateway oder in der Cloud erfolgen. Sind Sie ein eigener Cloud-Provider für ihre Kunden?

Henkel:

Momentan betreiben wir unsere eigene Cloud, auch um Erfahrungen zu sammeln.

Schreiber:

Um Industrie 4.0 voranzutreiben, muss das gemeinsame Gestalten mit Partnern im Vordergrund bleiben – das ist unser Grundsatz.

Wandelt sich Schaefflers Geschäft zunehmend vom Lager-Hersteller in Richtung Services?

Schreiber:

Wenn wir heute mit Kunden über Produkte diskutieren, geht es in erster Linie um Leistungsparameter innerhalb der Systemgrenzen der Produkte wie z.B. Tragfähigkeit, Steifigkeit, Genauigkeit, Reibmomente usw. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass sich das extrem verschieben wird. Künftig zählt die gesamte Wertschöpfungskette, nicht nur das Lager. Kunden wollen beispielsweise Lösungen, um die Gesamtanlageneffektivität zu steigern. Hier muss man Konzepte rund um das Lager, Cloud-Lösungen und Services parat haben, um sich im Markt zu differenzieren. Das Lagerportfolio wird weiter unsere Geschäftsbasis sein, aber die Werkzeugmaschine 4.0 zeigt, wo wir uns hinbewegen.

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