Mensch-Roboter-Kollaboration Berührungsängste abbauen

Bild: Dirk Freder, iStock
06.05.2016

Sicherheit durch räumliche Trennung war jahrzehntelang das Motto, wenn es um Sicherheit von Roboterapplikationen ging. Doch die Zeiten ändern sich: In Mensch-Roboter-Kollaborationen sind Kollisionen nicht mehr ausgeschlossen. Das stellt neue Anforderungen an die Sicherheit.

Produktivitätssteigerungen sowie der demografische Wandel mit zunehmend älteren Erwerbstätigen sind Treiber, das Potenzial von Roboterapplikationen zu erhöhen. Statt Kooperation mit statischen fest definierten Übergabepunkten zwischen Mensch und Maschine sollen beide Partner künftig flexibel in einem gemeinsamen Arbeitsbereich ihre jeweiligen Stärken einsetzen können. Bei der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) überschneiden sich die Arbeitsräume von Mensch und Roboter räumlich und zeitlich. Kollisionen sind nicht mehr ausgeschlossen. Sie dürfen jedoch zu keinen Verletzungen führen! MRK-Applikationen stellen daher an die Sicherheit neue Anforderungen.

Um entsprechende Lösungswege aufzuzeigen, wurde das internationale Normengremium ISO/TC 184/SC2 WG3 beauftragt, die Technische Spezifikation ISO/TS 15066 „Robots and Robotic Devices – Collaborative Industrial Robots“ zu erarbeiten. Sie wurde in diesem Frühjahr veröffentlicht. Ihre Bedeutung ist enorm. Denn mit ihr können nach der Validierung erstmals sichere Mensch-Roboter-Kollaborationen umgesetzt werden. Als Schutzprinzipien sind darin vier Kollaborationsarten beschrieben: Sicherheitsgerichteter überwachter Stillstand, Handführung, Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung und Leistungs- und Kraftbegrenzung. Bei der Umsetzung einer sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration kann der Systemintegrator eine oder eine Kombination aus diesen Kollaborationsarten für seine Applikation auswählen. In der Praxis zeigt sich, dass sich MRK oft durch eine Kombination aus einer Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung und einer Leistungs- und Kraftbegrenzung umsetzen lassen.

Bis zur Schmerzschwelle

Im Anhang der ISO/TS 15066 wird ein Körperzonenmodell aufgeführt, das zu jedem Körperteil – zum Beispiel Kopf, Hand, Arm oder Bein – eine Angabe zu den jeweiligen Kollisionsgrenzwerten macht. Diese Werte bilden die Basis, um die Applikation mit einer Leistungs- und Kraftbegrenzung umsetzen zu können. Bleibt die Anwendung während einer Begegnung zwischen Mensch und Roboter innerhalb dieser Grenzen, so ist sie normenkonform.

Als Mitglied im internationalen Normengremium hat Pilz mit Roboterherstellern, Integratoren, Prüfstellen wie Berufsgenossenschaften und anderen Automatisierungsunternehmen aktiv an der Ausgestaltung der Norm für die Mensch-Maschine-Kollaboration im industriellen Umfeld mitgearbeitet.

Risiko beurteilen

Wie in anderen Bereichen auch, verpflichtet der Gesetzgeber den Hersteller einer Roboterapplikation zur Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahren mit CE-Kennzeichnung. Die Risikobeurteilung bei MRK bietet einige Herausforderungen: Denn zusätzlich zu den Gefahren, die vom Roboter ausgehen, müssen die Bewegungen des Menschen berücksichtigt werden. Diese sind jedoch nicht immer kalkulierbar mit Blick auf Geschwindigkeit, Reflexe oder plötzlichem Zutritt zusätzlicher Personen. Es folgen Sicherheitskonzept und Sicherheitsdesign inklusive Auswahl der Komponenten. Die technische Lösung ist in der Regel eine Kombination aus intelligenten Sensoren, die miteinander verknüpft sind, und Steuerungen, die die notwendigen dynamischen Arbeitsprozesse überhaupt erst möglich machen. Anschließend werden die ausgewählten Sicherheitsmaßnahmen in der Risikobeurteilung dokumentiert und im Schritt Systemintegration umgesetzt. Es folgt die Validierung, in der die vorangegangenen Schritte reflektiert werden.

Den einen sicheren Roboter oder die eine sichere Sensorik, die alle möglichen Fälle aus den Anwendungen hinsichtlich der Sicherheit abdeckt, gibt es bislang nicht. Zur Messung von Kräften und Geschwindigkeiten jedoch hat Pilz ein Kraftmessgerät entwickelt und im Automobilbau bereits erprobt. Ausgestattet mit Federn und entsprechenden Sensoren können die einwirkenden Kräfte bei einer Kollision mit einem Roboter erfasst und mit den Vorgaben aus der ISO/TS 15066 verglichen werden.

Die Anforderungen an die Sicherheitstechnik hängen stets von der jeweiligen Applikation ab. Erst in der Gesamtbetrachtung von Roboter, Werkzeug und Werkstück sowie dazugehörigen Maschinen wie etwa Fördertechnik entstehen sichere Roboterzellen. Das bedeutet in der Praxis, dass jede Applikation eine eigene sicherheitstechnische Betrachtung erfordert. Mit seiner Erfahrung aus dem Bereich sichere Automation unterstützt Pilz Anwender mit einem auf die einzelnen Lebensphasen eines Robotersystems abgestimmten Dienstleistungsportfolio: von der Prozessanalyse über die Risikobeurteilung bis hin zur CE-Kennzeichnung. Zum Serviceangebot gehört auch ein spezielles Schulungsangebot zum Thema Robot Safety.

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  • Mensch-Roboter-Kollaboration: Sicherheit steht an erster Stelle.

    Mensch-Roboter-Kollaboration: Sicherheit steht an erster Stelle.

    Bild: Pilz

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